Zuerst einmal ist Autismus eine komplexe und vielseitige neurologische Entwicklungsstörung. In der aktuellen ICD 10 Ausgabe, den medizinischen Diagnosekriterien der Weltgesundheitsorganisation wird Autismus den „Tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“ zugeordnet. Es wird zwischen „Frühkindlicher Autismus“ (F84.0), „Asperger-Syndrom“ (F84.5) und „Atypischer Autismus“ (f84.1) differenziert. Da die Unterscheidung in der Praxis durch Überlappungen der Formen immer schwerer fällt, wird im neuen ICD 11 (seit 2022 in der Übergangphase) der Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) verwendet.
Häufig zeigen Menschen mit einer ASS ein anderes Verhalten, als wir (neurotypische Menschen) es kennen oder vielleicht auch erwarten würden. So kann es sein, dass diese Person komische Geräusche oder Bewegungen macht oder auch nur über bestimmte Themen spricht und dies dann sehr ausgiebig. Dadurch kommt es zu Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion (fehlender Blickkontakt, kein oder nur ein sehr geringes Interesse am gemeinsamen Tun, Probleme bei der Gestaltung von Beziehungen zu anderen Menschen) und auch in der Kommunikation (in der sprachlichen aber auch in der nonverbalen Kommunikation, weil vielleicht keine Lautsprache vorhanden ist oder aber die Fähigkeit Mimik, Gestik, Tonfall zu lesen und zu hören nicht oder nur sehr gering vorhanden ist). Des Weiteren zeigen Menschen mit einer ASS häufig sich weiderholende und stereotype Verhaltensweisen.
Das gerade Beschriebene sind verschiedene zu beobachtende Verhaltensweisen, die im eigentlichen als Symptome des Autismus zu betrachten sind, nicht aber als Ursache. Zum jetzigen Zeitpunkt gehen die meisten davon aus, dass Autismus genetische Komponenten hat, die zu einer Veränderung des Gehirns führen, welche wiederum die Wahrnehmung und das Denken beeinflussen und sich im Verhalten widerspiegeln.
Die Wahrnehmung meint in diesem Fall nicht die Sinneswahrnehmung wie hören, riechen, sehen (die natürlich zusätzlich beeinträchtigt sein können), sondern die Wahrnehmungsverarbeitung. Hier kommt es häufig zu einer Über- oder auch Unterempfindlichkeit. Eine Überempfindlichkeit kann sich zum z.B. äußern durch Ohren zu halten, Vermeidung von bestimmten Texturen oder Verweigerung bestimmter Lebensmitte. Eine Unterempfindlichkeit kann sich zeigen durch das Suchen von starken Reizen wie beispielweise das Essen harter/kalter/heißer Lebensmittel, Zähne knirschen, Faust ans Kinn pressen.
Beim Denken sind die kognitiven Fähigkeiten gemeint, die bei Menschen mit einer ASS oftmals besonders sind. Darein spielen die „Theory of Mind“, die „zentrale Kohärenz“ sowie die „Exekutivfähigkeiten“.
Die Theory of Mind wird mit ca. 4 bis 5 Jahren entwickelt und ist etwa mit dem 9. Lebensjahr abgeschlossen. Diese hilft uns andere Menschen besser zu verstehen.Wir haben ein Bewusstsein darüber, dass andere Menschen eventuell einen anderen Gedanken, eine andere Idee oder auch ein anderes Wissen zu einer Situation haben. Es ermöglicht uns, uns in andere hineinzuversetzen und eine andere Perspektive einzunehmen. Dadurch sind wir in der Lage Verhalten von Mitmenschen vorherzusehen und dieses zu verstehen.
Mit der zentralen Kohärenz ist gemeint, dass die meisten Menschen entweder eine Präferenz für Gesamtbilder haben oder eine Präferenz für Details. Die meisten neurotypischen Menschen haben diese Präferenz im Gesamtbild, während der Mensch mit einer ASS eher eine fürs Detail hat.
Die Exekutivfunktionen sind eine hohe kognitive Kompetenz, die z. B. gebraucht werden, um Impulse zu kontrollieren, um mit Frustration umzugehen, um Aufmerksamkeit lenken zu können oder auch Probleme lösen zu können. Die Exekutivfunktionen fangen bereits im Säuglingsalter an sich zu entwickeln, sind aber erst im frühen Erwachsenalter (ca. 25 Jahre) voll ausgebildet.
Inwiefern hilft uns nun dieses Wissen weiter?
Es hilft uns insofern weiter, dass wir für das Kind, den Jugendlichen, den Erwachsenen ein Verständnis entwickeln und uns und die Situation auf den jeweiligen anpassen. Damit ein gutes Miteinander gelingen und Lernerfolge erzielt werden können ist eine wichtige, wenn die gar die wichtigste Voraussetzung eine gute Beziehung zueinander sowie die Möglichkeit der Kommunikation zu haben. Nur wer in einem guten Kontakt zu seinen Mitmenschen steht und die Möglichkeit hat sich mitzuteilen zeigt weniger besondere oder auch herausfordernde Verhaltensweisen und kann gut am Leben in der Gesellschaft teilnehmen.